Lavaca (Hg.): Sin Patrón, Herrenlos, Arbeiten o.Chefs ISBN 9783940865649 - 140gr

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Lavaca (Hg.)
Sin Patrón, Herrenlos, Arbeiten ohne Chefs
Instandbesetzte Betriebe in Belegschaftskontrolle
Das argentinische Modell: besetzen, Widerstand leisten, weiterproduzieren
Übersetzung und Einführung von Daniel Kulla
ISBN 978-3-940865-64-9 I 2015 I 254 Seiten

 

Blick ins Buch

 


Als Argentiniens Wirtschaft 2001 zusammenbrach, kam es zwar nur beinahe zur Revolution, aber Tausende Werktätige lernten, Betriebe unter eigener Kontrolle weiterzuführen. Heute gibt es mehrere hundert solcher Betriebe in Argentinien, zum Teil von der Regierung kooptiert, zum anderen Teil aber weiterhin im Aufstand – wie die Keramikfabrik FaSinPat (Zanon), in der nach wie vor alle den gleichen Lohn bekommen und alle die gleiche Stimme in der Vollversammlung haben, der höchsten Autorität im Werk.
Im Buch, im Original herausgegeben von einem Verlagskollektiv aus Buenos Aires, gibt es die Geschichten von 10 derartigen Instandbesetzungen, die in Argentinien „recuperación“ heißen: Wiederinbetriebnahme, aber auch Genesung. Von Aneignung ist meist gar nicht die Rede – die Betriebe gehören sowieso dem Volk. Und konsequenterweise versorgen viele fabricas recuperadas ihre Nachbarschaft mit speziellen öff entlichen Diensten wie Volksschulen und Benefi zveranstaltungen.
Übersetzt, aktualisiert und mit Praxisanregungen angereichert von Daniel Kulla.

"Ein aktueller Einblick in offene Fragen und die Ergebnisse kritischer Forschung runden das spannende Buch ab." Elisabeth Voss

Inhalt:

Vorwort des Übersetzers: "Aber doch nicht hier bei uns!"
Einleitung der Verlagskooperative: Werktätige einer Klasse für sich
Zehn Geschichten
1. Zanón/FaSinPat: Eine Abmachung, mit der wir leben können
2. Brukman: Ein Kampf, der Geschichte schrieb
3. Crometal: Metallarbeiter des 21. Jahrhunderts
4. Chilavert: Was man so alles tun muss, um arbeiten zu können
5. Sime: Steinbruch im Widerstand
6. Conforti: Der Aufstand der Maschinen
7. Renacer: Eine Explosion am Ende der Welt
8. IMECC: Die Reifen-Prophezeiung
9. Unión y Fuerza: Eine Lektion in zwei Worten
10. Comercio y Justicia: Zukunft und Ruhm
Interview mit Eduardo Murúa
Die Bewegung: Wissen teilen und Kräfte bündeln
Adrian Mengay, Maike Pricelius, Luciano Tepper
Analyse: Selbstverwaltung und kollektives Management - wie steht es um die Betriebe in Belegschaftshand
Literatur

Aus dem Vorwort:

Aber doch nicht hier bei uns!
Vorwort des Übersetzers
Dieses Buch dokumentiert etwas Unerhörtes. Es zeigt uns Menschen, die um ihre Arbeitsplätze kämpfen, und die, während sie das tun, immer besser verstehen, was das noch alles bedeutet. Es zeigt uns, wie Belegschaften für bankrott erklärte Betriebe besetzen und als Kooperative  weiterführen; wie sie es nicht als alternativlos hinnehmen, wenn der Markt etwas aufgibt.
Und dieses Buch war selbst ein Teil dieser Entwicklung. Diego Ruarte, derzeitiger Pressesprecher der Hotel-Kooperative Bauen in der Innenstadt von Buenos Aires, erinnert sich im Interview für dieses Vorwort an die Zeit, als nach 2003 die Bewegung der Kooperativen abgeschrieben wurde und es allgemein hieß, sie würden bald wieder verschwinden. Damals propagierte die argentinische Originalfassung dieses Buchs, erstmals 2004 erschienen, die „recuperación“ – das
spanische Wort, das „Genesung“ und „Wiederherstellung“ heißen kann, und das hier nun dafür steht, die Betriebe „wieder flott zu machen“, die dann entsprechend „fábricas recuperadas“ oder „empresas recuperadas“ heißen, am besten übersetzt als „instandbesetzte Betriebe“.
Als die erste große Welle der Instandbesetzungen gerade abgeklungen war, bot das Buch einen wertvollen Überblick über die Zahl und Vielfalt der entstandenen „recuperadas“. Diego: „Es war ein großartiges Erlebnis, das Buch aufzuschlagen und die Geschichten anderer Betriebe mit ähnlichen Problemen und ähnlichen Errungenschaften zu lesen, darin befreundete Aktivisten zu entdecken, die noch dazu gut wiedergegeben waren.“ Gabriela von der Tischlerei Maderera Córdoba nennt das Buch schlicht eine „Einführung in die Organisation einer Arbeiterkooperative“ und verweist auf seine Funktion als „Telefonbuch der Bewegung“ – im Original finden sich im Anhang Kontaktdaten und Kurzbeschreibungen Dutzender Kooperativen, nach Branchen sortiert, dazu auch Links zu  Praxisanlaufstellen, den Dachverbänden, relevanten Behörden und Unterstützungsstrukturen. Diese Rolle als Beispiel, Anregung und Ermutigung wünsche ich mir auch für diese Übersetzung. Und da wird es nun sicher heißen:
Hier? Hierzulande?
In Argentinien sind die „fábricas recuperadas“ längst bekannt und beliebt genug, dass ihr praktisches Beispiel und ihre direkte Hilfe immer wieder neue Instandbesetzungen inspirieren und unterstützen, so wie jüngst im Falle des Druckhauses RR Donnelley, dessen amerikanischer Mutterkonzern nach Abschöpfung von staatlichen Subventionen die Insolvenz erklärt hatte. Auch in Europa gibt es bereits erste Belegschaften, die dem Beispiel folgen und sich aus Argentinien Rat holen, wie etwa die griechische Baustoff-Fabrik Vio.Me, die mittlerweile auch unter dem Motto der argentinischen Bewegung firmiert: „Besetzen. Widerstand leisten. Produzieren.“
Hierzulande scheint jedoch die Idee erst einmal vorgestellt werden zu müssen, auch wenn es mit der Fahrradkooperative StrikeBike in Nordhausen, den nach dem Kollaps von „Schlecker“ in  Eigenregie fortgeführten Filialen und den Flugzeugwerken in Speyer1 zumindest ähnliche  Vorgänge schon gab. Es ist nötig, neben den unleugbaren Unterschieden der argentinischen Situation zur hiesigen die zahlreichen Ähnlichkeiten und Anknüpfungspunkte herauszustellen.
Auch in Argentinien hatte am Anfang kaum jemand vor, einen Betrieb als Genossenschaft zu übernehmen, wichtig war vielmehr der Erhalt oder die Wiedergewinnung des eigenen Arbeitsplatzes. In den Worten von Claudio Valori aus dem Textilbetrieb Brukman: „Es begann mit ‚Ich verliere meinen Job‘, nicht mit der Entscheidung, Eigentümer zu enteignen“. Der Mechaniker Salvador schildert die Anfänge in der Autoteilefabrik 19 de Diciembre in San Martín, einem Vorort von Buenos Aires: „Die Leute hier waren keine Sozialisten, keine Kämpfer, sie waren nicht organisiert – sie waren einfach draußen, saßen auf der Straße. Und das erste, was sie dachten, war einfach: Lasst uns reingehen, damit wir auf die Anlagen aufpassen können und, wenn sie’s  verkaufen, unseren Lohnausfall bezahlt bekommen. Es war ein langer und langsamer Prozess bis zu der Entscheidung, hier gemeinsam weiter zu arbeiten.“ Gustavo Ojeda aus der Grafikkooperative Conforti wird später im Buch mit dem Ausspruch zu lesen sein: „Für mich war das eine Metamorphose… Ich war neun Jahre lang Gewerkschaftsdelegierter und nun plötzlich hieß es, dass wir alle zu Eigentümern des Betriebs werden sollten“. Auf solche Entwicklungen und Lernprozesse kommen fast alle der Beteiligten immer wieder zu sprechen. Claudio von Brukman beschreibt es so: „Ich wurde zu einem Aktivisten durch diesen Kampf, vorher war ich’s noch nicht. Es war wie eine Reise: Ich beteiligte mich am Kampf und fand dann heraus, dass ich wohl ein Sozialist bin. Wir lernen hier immer noch jeden Tag mehr, aber nicht vorwiegend aus Büchern.“

Rezension von Elisabeth Voss in "OYA- anders denken, anders leben" 34/2015

 

 

 

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