Abstract
Im Sinne einer ideologiekritischen Rekonstruktion untersuchen die beiden Autoren nationale und internationale bildungspolitische Tendenzen seit den 60er Jahren. Im Mittelpunkt steht der aktuelle Wandel der Lernkultur und ihrer Paradigmen vom lebenslangen und selbstgesteuerten Lernen. Exemplarisch werden am Bereich der Weiterbildung aktuelle Erosions- und Expansionsprozesse in der Bildungspolitik aufgezeigt und die Zwiespältigkeit der neuen Bildungseuphorie dargestellt.
Die Autoren argumentieren gegen die derzeitige Instrumentalisierung von Bildung und werben für eine Wiedergewinnung des Emanzipatorischen.
Obwohl immer mehr über Bildung gesprochen wird, verkümmert diese zusehends. Der Lerngesellschaft des 21. Jahrhunderts droht eine erneute Bildungskatastrophe, wenn sie weiterhin Prozesse des Lernens und Lehrens kapitalisiert und trivialisiert und Wissen ohne Bildung propagiert.
Inhaltsverzeichnis
Prolog
Bildung als Volkssport – oder: Die neue Lust auf Lernen!?
Die deutschen Bildungskatastrophen
Bildung in Bewegung / Die 1960er Jahre: Wendepunkt in der Bildungspolitik / Die 1980er Jahre: Bildung als Ware – oder: Bildung als Kompetenz und Qualifikation / Das 21. Jahrhundert: PISA 2000 – oder: Über das nicht eingelöste Bildungsversprechen
der Politik
Zur internationalen Bildungsdiskussion: Globalisierung und lebenslanges Lernen
Internationale Bildungsstudien / Weltbildungskonferenzen / Weltbildungsberichte / Die OECD als bildungspolitischer Impulsgeber
Zwischenbilanz auf dem Weg in das Jahrhundert der Bildung
Ideologie- und Reformkritik / Institutionenkritik / Pädagogisch-politische Kritik / Kulturkritik
Lebenslanges Lernen konkret: Weiterbildung zwischen Markt und Aufklärung'
Von der Re-Education bis zur Ökonomisierung – Ein Überblick über die Geschichte der Erwachsenenbildung / Das selbstgesteuerte Lernen – Konsequenzen für die Lernkultur
Fazit: Das Jahrhundert der Bildung hat erst begonnen – wie geht es weiter?
Epilog
Anmerkungen / Literatur
Autoren
Dr. Ulrich Klemm, Diplom-Pädagoge, Fachbereichsleiter an der Ulmer Volkshochschule, Lehrbeauftragter für Pädagogik an der Universität Augsburg; Redaktionsmitglied der Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik (ZEP); Veröffentlichungen zur Bildungsgeschichte, Alternativ- und Antipädagogik, Erwachsenenbildung, interkulturellen Pädagogik und Kindheit.
Dr. Klaus-Peter Hufer, M.A., Fachbereitsleiter an der Kreisvolkshochschule Viersen/NRW, Privatdozent an der Universität Essen, Redaktionsmitglied der Zeitschrift kursiv. Journal für politische Bildung; zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte, Theorie und Praxis der politischen Erwachsenenbildung
Buchbesprechung: Pro Zukunft Nr 2/2003
Um die Bildung, so möchte man meinen, ist es - Dietrich Schwanitz sei gedankt - in unseren Landen gut bestellt. Mehrmals die Woche ziehen redegewandte Moderatoren alle Register, um den Kanon des Wissenswerten zu vermitteln und uns im imaginären Wettkampf mit von Fortuna erkorenen KandidatInnen vor Augen zu führen, welchen Grad an unmittelbarer Be- und Verwertbarkeit wir selbst in Sachen Wissen erreicht haben. Hat demnach die "Ressource Mensch" den letzten Zweck des Lernens erkannt, den bildungsbewegte PolitikerInnen und eine Heerschar verdienter PädagogInnen in ihrer Sorge um unser aller Zukunft seit mehr als 40 Jahren beschwören?
Daran darf mit Recht gezweifelt werden. Die Autoren - beide im Bereich der Volkshochschule, der universitären Lehre sowie auch journalistisch tätig - hinterfragen in dieser zwar schmalen, aber in ihrer Analyse gewichtigen Studie zunächst die "neue Lust am Lernen " und zeichnen in der Folge "Etappen der deutschen Bildungskatastrophen" von den 60er Jahren bis zu "PISA 2000" nach. Dabei entlarven sie den Mythos von der Allmacht sachlicher Information und pädagogischer Verhaltenskodierung, verweisen auf die Defizite diverser Bildungsoffensiven, vor allem auch auf internationaler Ebene, und liefern mit Bezug auf I. Illich und Kh. Geißler eine harsche Kritik an der Leitidee des selbstbestimmten lebenslangen Lernens ab, das gegenwärtig in der Erwachsenenbildung hoch im Kurs steht. Mit treffenden Argumenten, die mit Gewinn auch bei Nietzsche und Engels Anleihe nehmen, verweisen sie auf die dem Ziel der Bildung diametral entgegenstehenden Auswirkungen dieses Ansatzes. Anstatt im persönlichen Diskurs und im vertrauensfördernden Austausch mit einem Gegenüber Zusammenhänge in den Blick zu nehmen, ist eigenverantwortetes Lernen im wesentlichen einsam und maschinenzentriert. So wird es nachgerade zum Instrument für Entsolidarisierung, Ellbogenmentalität, für Selbstbehauptung und ?inszenierung. Die Pädagogik, so die Verfasser, liefere mit dem Konzept des permanenten Lernens den der politischen Globalisierung und dem wirtschaftlichen Neoliberalismus entsprechenden bildungspolitischen Ansatz. Das drastisch formulierte Resümee der Verfasser ist bei weitem nicht nur linker Tradition, sondern in erster Linie einer schlüssigen Analyse geschuldet: "Die Entfremdung und Ausbeutung des Menschen findet im 2 1. Jahrhundert nicht mehr über autoritäre politische Strukturen oder politische Ideologien statt, sondern über eine neue pädagogische Ideologie, die da heißt: lebenslanges und selbstorganisiertes Lernen." In der Tat eine zum Widerspruch herausfordernde These, der allerdings auch die Autoren keine Alternative entgegenzusetzen haben. Sich dabei alleine auf die Macht der Fakten zu berufen, wird insbesondere der Pädagogik nicht genügen und sollte Anlass zur Hinterfragung des so positiv besetzten Ansatzes sein. W Sp.