Abstract
Ausgehend von den Erfahrungen des Projektes "Berufliche und Politische Bildung mit Frauen" zeigt die Autorin die Möglichkeiten eines lebensweltorientierten Bildungsansatzes auf, der auch Erfahrungen und Kompetenzen der Teilnehmerinnen mit einbezieht.
Vorwort
In Beschreibungen pädagogischer und sozialwissenschaftlicher Forschung und Praxis wird immer häufiger der Begriff der "Lebenswelt" verwendet. Er ist fast zum Gegenbegriff und Aushängeschild für eine bestimmte theoretische wie methodische Orientierung geworden, die für sich Ganzheitlichkeit im Unterschied zur herkömmlichen, distanzierenden wie auch distanzierten und zerlegenden Herangehensweise beansprucht. Wer von "Lebenswelt" spricht, erinnert daran, daß Forschung und forschende Praxis in den Kulturwissenschaften notwendig interaktiv und kommunikativ ist, auf wechselseitigen Deutungen aufbaut, solche produziert und analysiert. Diese forschende Praxis ist selbstreflexiv: Im Forschungsprozess sind die Forschenden ebenso Gegenstand wie die vermeintlichen Forschungsprojekte und entwickeln sich mit diesen.
Auch das hier beschriebene langjährige Projekt der Berufsbildung gering qualifizierter Frauen im Saarland beansprucht, "lebensweltorientiert" zu sein. Es ist aus einer langjährigen Gemeinwesenarbeit in sozialen Brennpunkt herausgewachsen, hat die Lebenswelt obdachloser Frauen und ihrer Familien zum Ausgangspunkt für Veränderungsstrategien genommen und deren Möglichkeiten, aber auch Grenzen da kennensgelernt, wo es beim Ziel der beruflichen Eingliederung dieser Frauen häufig auf unüberwindliche Schwierigkeiten stieß - besonders unter den erschwerten ökonomischen Bedingungen des Saarlandes.
Es war deshalb folgerichtig, wenn die Landesarbeitsgemeinschaft Soziale Brennpunkte Saar neben ihrer Frauenarbeit und den stadtteilbezogenen Initiativen ein Projekt der Berufsbildung und Existenzsicherung in Gang setzte, stellte sich doch bei einer entsprechenden Befragung der Arbeitsämter heraus, daß die Zielgruppe der sozial benachteiligten Frauen auch im Beratungsangebot stark vernachlässigt ist, und daß ihren besonderen Beratungs- und Qualifizierungsbedürfnissen kaum Rechnung getragen wird. Bei diesen Frauen scheint sich die Beschränkung der Frauenrolle auf die Hausarbeit und Kindererziehung und die Bestimmung über den Mann nochmals zu verstärken, was auch in den Berufsbiographien immer wieder deutlich wird.
Der Titel wie die im Problemeaufriß angekündigte Erörterung des Lebensweltkonzeptes, das im Projekt praktisch wurde, lassen erwarten, daß es im Buch vor allem um Nachrichten aus der Lebenswelt sozial benachteiligter Frauen geht. Doch konzentriert sich Anne Rösgen stärker auf die Konzeptentwicklung, auf die wissenschaftliche Begleitung im Sinne einer Handlungsforschung und auf eine Prozeßanalyse. Dabei reflektiert sie nahezu schonungslos über die Schwierigkeiten, beides, Projekt- wie auch wissenschaftliche Begleitung in einer Person zu vereinen, über die Probleme der oft nur befristet eingesetzten Mitarbeiterinnen und über die besonderen Nöte der auszubildenden Frauen.
Die Arbeit bleibt insofern unmittelbar dem Lebensweltansatz verpflichtet als sie die Berufsbiographien der Teilnehmerinnen als "Schlüsselsituation" in den Mittelpunkt der Gruppengespräche stellt und in den Kursen nicht bloß vorgegebenes Berufswissen vermittelt. Die Berufsbiographie stellt zwar nur einen Ausschnitt der Lebenswelt dar, läßt aber Sozialisationserfahrungen, Schulschicksale, Partnerprobleme und die jeweiligen Deutungsmuster durchscheinen. So bietet die vorliegende Arbeit eine Fülle von Anregungen und Diskussionsanlässen für Berufsberatung, Frauenforschung und für die schwierige Praxis der Qualifizierung dieser Gruppe von Frauen, zumal Forderungen und Perspektiven für eine Weiterentwicklung des Konzeptes formuliert werden.
Die Vielschichtigkeit des Materials, das eine entsprechend komplexe Aufbereitungsmethode erforderte, sowie die damit verbundene, nicht immer leicht eingängige Darstellung fordern die Lesenden auf eine Weise, wie sie typisch für eine solche Gratwanderung zwischen Organisation, Konzeptarbeit, Weiterbildungspraxis und wissenschaftlicher Durchdringung ist. Gerade in der Verknüpfung dieser Aspekte liegt das Verdienst und der besondere Reiz dieses Buches.
Gerd Iben / Ilona Ostner
Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkung / Vorwort / Einleitung
I. Entwicklung und Zielsetzung / 1. Entstehungszusammenhänge und Ziele der Arbeit / 2. Praxisforschung als wissenschaftlicher Ansatz / 3. Lebensweltorientierung, weiblicher Lebenszusammenhang und situativer Ansatz
II. Erkundungsstudie zur Teilhabe gering qualifizierter erwerbsloser Frauen an Weiterbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen im Saarland / 1. Entwicklung der Fragestellung, Rahmenbedingungen und Untersuchungsansatz / 2. Ziele und methodisches Vorgehen / 3. Ergebnisse / 3. 1. Erwerbstätigkeit von Frauen im Saarland / 3.2. Weiterbildung für gering qualifizierte Frauen im Saarland / 3.3. Konsequenzen für die saarländische Arbeitsmarkt- und Weiterbildungspolitik
III. Die Orientierungskurse / 1. Ziele und Arbeitsweisen der wissenschaftlichen Begleitung / 2. Entwicklung des konzeptionellen Rahmens / 3. Dokumentation der Kurse / 4. Auswertung und Interpretation / 4.1. Zum Einsatz biographischer Verfahren / 4.1.1. Ziele und Befragungssituationen / 4.1.2. Exkurs: Grundfragen biographischer Verfahren / 4.1.3. Auswertung und Interpretation von Berufsbiographien / 4.2. Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung und Schlußfolgerungen für die weitere Konzeptentwicklung
IV. Weiterführende Fragestellungen / Anhang / Chronik / Projekt - Skizze / Orientierungskurse / 2. Beratung für Berufsrückkehrerinnen / 3. Frauenbildungsreferat / 4. Qualifizierung und Erwerbsarbeit im Umweltschutz / Mitarbeiterinnen / Adresse/Trägerverein / Archivübersicht / Literatur
Autorin
Leiterin des Projektes "Berufliche und Politische Bildung für Frauen", Landesarbeitsgemeinschaft Soziale Brennpunkte Saar e.V.