Abstract
Ehrenamtliche Arbeit hat Konjunktur. Die soziale Versorgung wird grossflächig reprivatisiert und fallen Kürzungen zum Opfer. Soziale Einrichtungen werden der Wohlfahrt überantwortet bzw. der „freiwilligen" ehrenamtlichen Arbeit übergeben. Das Buch beleuchtet alte und neue „freiwillige" Arbeit und fragt nach ihrem Beitrag zur Lösung der aktuellen Probleme des Arbeitsmarktes, der sozialen und geschlechtsspezifischen Ungleichheiten.
Vorwort
In der aktuellen sozialpolitischen Diskussion haben sie Konjunktur, die „neuen Freiwilligen". Soziale Versorgung wird grossflächig reprivatisiert, staatlichen Kürzungen zum Opfer fallende soziale Einrichtungen werden der Wohlfahrt überantwortet bzw. der ehrenamtlichen Arbeit und Selbsthilfe übergeben – und all dies wird mit dem ideologischen Mäntelchen des Vorteils menschlicher Wärme in kleinen sozialen Netzwerken im Vergleich zur Kälte der professionellen Hilfeexperten in den Betreuungseinrichtungen gnädig zugedeckt. Die Lage der ArbeitnehmerInnen ist durch zunehmende ökonomische und soziale Unsicherheit zu charakterisieren. Erwerbslosigkeit und Armut nehmen einen erschreckenden Umfang an. Damit wächst auch die Zahl der Hilfsbedürftigen.
Bevor Beschreibungen der Konzepte und Perspektiven für die „neuen" Arbeitsformen der „neuen Freiwilligen" aufgezeigt werden können, wird es notwendig, einige Vorbemerkungen zu machen und auf die Krisenszenarien von Sozialstaat, Familie und Arbeitsgesellschaft einzugehen, die schliesslich den Ruf nach „neuer" Freiwilligkeit begründen.
WissenschaftlerInnen und PolitikerInnen warnen vor der sozialen Kälte, die morgen regieren wird, wenn wir uns heute nicht ändern. Wer aber sind „wir"? Und wer wird für die vorhergesehene soziale Eiszeit verantwortlich gemacht? 80 Prozent derjenigen, die die unmittelbar mit Sorge und Pflege verbundenen „ehrenamtlichen" Arbeiten ausführen, sind Frauen. Und sie werden für die Zukunft nicht ausreichen, um die Wunden zu heilen und die Löcher im sozialen Netz zu stopfen. Es finden sich immer wieder Argumente wie die folgenden: Soll die gesamte soziale Arbeit und die Arbeit im Gesundheitsbereich von professionellen HelferInnen erbracht werden, ist sie nicht mehr bezahlbar; deshalb ist ergänzend zum institutionell und professionell organisierten Hilfesystem freiwilliges, sogenanntes „ehrenamtliches" Engagement erforderlich. Zudem könnten und wollten sich nicht alle Menschen im Beruf verwirklichen, sondern würden ihre Zufriedenheit in der Familie, beim bürgerschaftlichen Engagement und in der freiwilligen Nächstenhilfe finden. Denn: „Die Familie ist den Frauen wichtigster Orientierungspunkt der Lebensführung und -planung" (Kommission für Zukunftsfragen 1997, Teil II, S. 39). Sind Frauen einmal in der Familie und in der Rolle der (noch teilweise berufstätigen) Mutter, so können sie die Pflege von Alten und Hilfsbedürftigen und die „freiwillige" Arbeit in Ehrenamt und Selbsthilfe gleich mit erledigen.
Angeprangert werden die verkrusteten Strukturen der Wohlfahrtsverbände und anderer Organisationen, die die unbezahlte und scheinbar auch unbezahlbare Arbeit für zu wenige attraktiv machen. Wenn es endlich gelänge, weitere ehrenamtliche „Potentiale" – vor allem unter den jüngeren Menschen – zu gewinnen, könnte man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Der Arbeitsmarkt würde entlastet und noch mehr Hilfsbedürftige würden zum Nulltarif versorgt.
Inhaltsverzeichnis
Einige notwendige Vorbemerkungen / Vier Millionen Erwerbslose zu viel / Was aber ist eine Krise? / Der Sozialstaat ist in der Krise / Die Familie ist in der Krise / Die Arbeitsgesellschaft ist in der Krise /Das Normalarbeitsverhältnis ist in der Krise / Das Ehrenamt ist in der Krise / Das „neue" Ehrenamt / Andere Formen der Arbeit / Neue Freiwilligkeit als Gegenferment zur Kriminalisierung / Neue Freiwilligkeit als Gegenferment zur Erwerbslosigkeit / Neue Freiwilligkeit zur Eröffnung neuer Handlungschancen / Von der Freiwilligenarbeit zur Pflichtarbeit / Was soll mit den neuen Konzepten erreicht werden? / Kritik an den Sozialverbänden / Was ist neu an den „neuen Freiwilligen"? / Alter Wein in neuen Schläuchen? / Konzepte für die Zukunft / Umverteilung für alle statt Einteilung in Sektoren / Orte des Gemeinsinns und des guten Lebens / Literatur
Autorin
Sozialwissenschaftlerin, arbeitet als wissenschaftliche Referentin im Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn. Arbeitsschwerpunkte: Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, Forschung zu bezahlt und unbezahlt geleisteter Arbeit, berufliche Bildung, historische Frauenforschung. Zahlreiche (Buch-)Veröffentlichungen zu diesen und anderen Themen. u.a.:
– Gisela Notz: Du bist als Frau um einiges mehr gebunden als der Mann. Die Auswirkungen der Geburt des ersten Kindes auf die Lebens- und Arbeitsplanung von Müttern und Vätern. Bonn 1991
– Gisela Notz: Auf der Suche nach den neuen Vätern. Frankfurt/M. 1995 (2. Auflage)
– Gisela Notz: Verlorene Gewissheiten? Individualisierung, soziale Prozesse und Familie. Frankfurt/M. 1996 (2. Auflage 1999)