Wolf-Dieter Narr: Zukunft des Sozialstaats - als Zukunft einer Illusion? ISBN 9783930830107 - 90gr

Artikel-Nr.: M 136

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Abstract
Könnte es sein, daß der Sozialstaat keine Zukunft hat, weil er eine höchst ambivalente Vergangenheit hatte, die schon seine Zukunft verschlang? Will man eine Zukunft des Sozialstaats, so kann man auf jeden Fall nicht beim Kampf gegen den Abbau der im Verlauf der letzten dreißig Jahre liebgewonnenen Leistungen stehen bleiben. Man muß vielmehr das, was man unter Sozialstaat versteht, neu bestimmen und entsprechend eine andere Zukunft des Sozialstaats anstreben. Alles entscheidend ist die demokratische Politisierung all dessen, was seither
Sozial-, Gesundheits- und Bildungspolitik hieß und doch weithin nichts anderes war, als ein soziobürokratischer und zunehmend ökonomischer Komplex. Nur wenn BürgerInnen aktiv einbezogen werden – und zwar nicht nur als selbst zahlende – kann der Nährboden für die notwendigen Experimente und Reformen entstehen. Wolf-Dieter Narr warnt vor dem unkritischen Lob dessen, was heute unter Sozialstaat verstanden wird. Er geht auf verschiedene Faktoren ein, die es unmöglich machen, den alten Sozialstaat fortzuführen, und skizziert, woran wir uns im Hinblick auf einen zukünftigen Sozialstaat orientieren sollt

Vorwort
Das Thema könnte den Anschein erwecken, als ginge es aktuell „nur" um die Zukunft des Sozialstaats, als könne man dessen Vergangenheit auf sich beruhen lassen. Ja mehr noch, als könne man die Gegebenheit des Sozialstaats voraussetzen, etwa wie einen bestimmten Grundgesetzartikel. Der Sozialstaat erscheint als feste Größe, wie ein Felsbrocken, auf dem wunderbares Leben stattgefunden hat, das durch die Globalisierung weggespült wird. Als müsse man nur gegen seinen Abbau opponieren und die Zukunft so verkünden, als sei sie die Fortsetzung dessen, was wir bis Ende der 70er Jahre immer gehabt haben – bis zum Abgang von Helmut Schmidt oder auch bis zur Wiedervereinigung.
Beide Annahmen sind falsch. Wenn von der Zukunft des Sozialstaats die Rede sein soll, muß auch und vor allem von dem gesprochen werden, was unter Sozialstaat normativ konzeptionell verstanden werden soll. Also: Was wollen wir eigentlich? Warum wollen wir diesen Sozialstaat, und was wollen wir mit ihm erreichen? Was ist also das Ziel? Hat das, was herkömmlicherweise als Sozialstaat ausgegeben worden ist, konzeptionell und praktisch zufriedengestellt? Könnte es sein, daß der Sozialstaat keine Zukunft hat, weil er eine höchst ambivalente Vergangenheit hatte, die schon seine Zukunft verschlang? In jedem Fall gilt: Will man eine Zukunft des Sozialstaats, so unwahrscheinlich eine solche im emphatischen Sinne gegenwärtig erscheint, so kann man es nicht beim Kampf gegen den Abbau im Verlauf der letzten dreißig Jahre üblich gewordener Leistungen belassen. Man muß vielmehr das, was man unter Sozialstaat versteht, neu bestimmen und entsprechend eine andere Zukunft des Sozialstaats anstreben.
Der Staat selbst ist mir zunächst einmal als Staat ziemlich egal – ich habe hier eher anarchistische Gefühle.
Hat das, was herkömmlicherweise als Sozialstaat ausgegeben wird, in der Tat konzeptionell ausgereicht? Wir alle haben immer wieder – und ganz massiv in den 50er, 60er und 70er Jahren – allerhand kritisiert, an dem, was sich Sozialstaat nennt. Der Sozialstaat ist auch in seiner besten Form nicht das Netz, das alles umfaßt, sondern ein unbestimmtes Gefüge, das zwar im Zentrum die Leute auffängt, aber je weiter man nach außen geht, um so eher läßt er sie durchfallen. Dies ist ja durchaus auch die Logik desselben.
Kurzum die Frage ist nicht nur, was wir selbst mit dem, was man Sozialstaat nennt, wollen, sondern auch, ob das empirisch-analytisch, mit dem was als Sozialstaat überkommen ist, so ohne weiteres teilbar ist?
Noch deutlicher gesagt: Der Sozialstaat hat keine Zukunft, weil er allenfalls eine höchst ambivalente Vergangenheit hat, er war immer schon mehrwertig, angereichert mit relativ guten und höchst problematischen Elementen. Oder anders: Will man eine Zukunft des Sozialstaat, so unwahrscheinlich eine solche gegenwärtig ist, dann muß man im Einklang mit dem Kampf gegen den Abbau aller möglichen Leistungen das, was man als Sozialstaat will, neu konzipieren. Man kommt so im Grunde wieder zu einer merkwürdigen Doppelstrategie. Selbstverständlich muß man sich dagegen wehren, daß von den Altenpflegeheimen und der Art der Betreuung bis hin zur Arbeitslosenunterstützung und dergleichen mehr fortlaufend abgebaut wird. Man muß sich dagegen wehren, daß diese regulierende Deregulierung stattfindet. Deregulierung ist außerdem mitnichten unbürokratisch. Je mehr man dereguliert, desto mehr bedarf es einer Bürokratie, die die weiteren Differenzierungen fixiert. Es wird im Grunde auch nicht viel billiger werden, nur anders wird es werden. Die repressive Komponente wird massiv zunehmen, und das wird schließlich auch gewünscht. Am besten wird dies im Ausländer- und Asylbereich deutlich, auch hier ist die Angelegenheit keinesfalls billiger geworden. Jede Abschiebung kostet mindestens 10.000 DM. Der politische Effekt aber, den man dadurch erreichen will, hat strukturelle Gründe.
Kurzum, wenn man von der Zukunft des Sozialstaats spricht, muß man sofort auch berücksichtigen, daß die Vergangenheit höchst ambivalent war. Und wenn man die Zukunft will, dann kann man nicht nur am Vergangenen ansetzen und dies ein bißchen ausbauen.
Deshalb will ich zunächst vor einem unkritischen Lob der Vergangenheit des Sozialstaats warnen - als wär’s in Köln doch vordem mit sozialen Heinzelmänn/-frauchen so bequem gewesen. Entsprechend muß vom überkommenen deutschen Sozialstaat kurz die Rede sein (A). Damit soll verhindert werden, daß ein Lob der Vergangenheit, eine Laudatio temporis acti hier stattfinden kann; als ob es früher so schön gewesen wäre, als die sozialpolitischen Heinzelmännchen/-frauchen so bequem unseren Älterwerdenden den Mund gestopft haben. Danach soll in wenigen Zügen von Faktoren die Rede sein, die es unmöglich machen, den alten Sozialstaat fortzuführen (B). Und schließlich will ich mich frontal meinem Thema zuwenden und grob skizzieren, woran wir uns im Hinblick auf einen zukünftigen Sozialstaat orientieren sollten (C). Ich füge vorab hinzu, daß ich ausgesprochen holzschnittartig argumentieren und nur auf Rahmenbedingungen eingehen werde

Inhaltsverzeichnis
A. Der "bismarckisch-knochige" deutsche Sozialstaat, seine Größe und seine immer schon gegebene Grenze / 1. Arbeitszentrierung / 2. Bürokratische / Formierung / 3. Sozialstaatliche Ungleichheit / 4. Sozialstaat mit nie in Frage gestellter kapitalistischer Prämisse / 5. Der Rheinische Kapitalismus
B: Seiten- und Bodenerosion des Sozialstaats im Zeichen der „regelvollen Deregulierung" / 1. Strukturelle Arbeitslosigkeit / 2. Regulierende Deregulierung / 3. Ausgrenzungen fressen sich in die Eingrenzungen /4. Formwandel des Kapitalismus im Zeichen der Globalisierung /5. Die Bestandsbedingungen des (sozialpolitisch gekitteten) „Modells Deutschland" gelten nicht mehr
C. Zukunft des Sozialstaats (als Zukunft einer Illusion?) / 1. Die aktuelle Musterblindheit / 2. Was heißt Sozialstaat? / 2.1 Aktive Fassung der sozialen Rechte / 2.2 Gesellschaftliche Totalität / 2.3 Ein verändertes  sozialstaatliches Muster / 2.4 Sozialpolitik als Bürgerinnen- und Bürgerpolitik
Literaturhinweise

Autor
Professor für empirische Theorie der Politik am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin, Vorstand des Komitees für Grundrechte und Demokratie, Vorsitzender des Instituts für Bürgerrechte & öffentliche Sicherheit e.V., Berlin.

 

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